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Tag "29c3"

Der 29C3 war mein neun­ter Con­gress in Fol­ge. Er war, auf zwei ver­schie­de­nen Ebe­nen, für mich ziem­lich gut und ziem­lich schlecht. Noch nie habe ich mich auf einem Con­gress so unwohl gefühlt, gleich­zei­tig noch nie so vie­le neue Leu­te ken­nen­ge­lernt. Die Orga, die Tech­nik, die Loca­ti­on, die Talks, die Assem­blies, alles super­toll, und dar­auf bezieht sich auch die Kri­tik, die ich noch anzu­brin­gen habe, ganz und gar nicht.

Die Fra­ge ist für mich, wel­chen Stel­len­wert tat­säch­lich vor­kom­men­de Vor­fäl­le wie eine sexis­ti­sche Mode­ra­ti­on, die Redu­zie­rung von Frau­en auf kopf­lo­se Kör­per oder das Hacken von Asher Wolfs Blog für ver­schie­de­ne Anwe­sen­de haben.

Für die Mehr­heit (wür­de ich ver­mu­ten) sind sol­che Vor­komm­nis­se, sofern sie bemerkt wer­den, Klei­nig­kei­ten. Selbst wenn man sie unschön fän­de, befle­cken sie die gesam­te Ver­an­stal­tung nicht. Sie haben den Stel­len­wert eines zer­bro­che­nen Tel­lers einer Groß­kü­che: Pas­siert, fällt aber nicht ins Gewicht. Ver­lust von einem Pro­mil­le.

Für vie­le ande­re Men­schen, und da schlie­ße ich mich ein, haben die­se Vor­fäl­le ein ande­res Gewicht. Sie sind der Cho­le­ra-Ein­zel­fall auf dem Kreuz­fahrt­schiff oder die Hun­de­ka­cke am Saum vom Hoch­zeits­kleid: Das unschö­ne Tau­sends­tel macht die Gesamt­si­tua­ti­on gefähr­lich oder uner­träg­lich.

Leu­te, die ich sehr schät­ze, sind dem 29C3 von vorn her­ein fern­ge­blie­ben, haben sich dort sehr unwohl gefühlt und/oder sind gleich frü­her abge­reist. (Da hilft auch kein Hin­weis, dass es vor 10 Jah­ren noch viel schlim­mer war.) Mir ist klar: Das will ich nicht. Ich füh­le mich dem Con­gress ver­bun­den und konn­te daher auch nicht anders, als noch auf der Ver­an­stal­tung selbst eine Klä­rung und Pla­nung anzu­schie­ben. Dass zu die­sem soge­nann­ten #policc­cy-Tref­fen rund 100 Anwe­sen­de erschie­nen, zeigt mir, dass ein tat­säch­li­cher Hand­lungs­be­darf besteht.

Ich hof­fe sehr, dass aus dem Hick­hack und der Wut der letz­ten Tage eine kon­struk­ti­ve Situa­ti­on für die Pla­nung und Durch­füh­rung des 30C3 ent­steht. Ich bin jeden­falls dazu bereit, mit mei­ner Zeit und mei­nen Ide­en einen Bei­trag dazu zu leis­ten. Der CCC ist kein homo­ge­nes Gebil­de: Ich habe meh­re­re unschö­ne Aktio­nen „hoch­ran­gi­ger“ Mit­glie­der erlebt, in glei­cher Wei­se aber auch mit lang­jäh­ri­gen Orga-Mit­glie­dern gere­det, die mei­ne Beden­ken weit­ge­hend tei­len. Die­se Posi­tio­nen müs­sen wir stär­ken.

Noch zwei Sät­ze zu den Cree­per Move Cards: Die inten­dier­te Wir­kung wur­de ver­fehlt und ich bin mitt­ler­wei­le auch nicht mehr davon über­zeugt, dass die Akti­on in die­ser Form eine gute Idee war. Ich hof­fe, dass in den lau­fen­den und noch kom­men­den Dis­kus­sio­nen die Kar­ten-Akti­on und das grö­ße­re Anlie­gen (näm­lich, dass der Con­gress ein Pro­blem mit Sexis­mus hat) getrennt von­ein­an­der behan­delt wer­den. Die not­wen­di­ge Dis­kus­si­on steht jetzt im Raum und da ist es mir rela­tiv egal, ob sie durch eine gelun­ge­ne oder nicht gelun­ge­ne Akti­on dahin gelangt ist.

Mein Bauch­weh wäh­rend des und nach dem 29C3 lässt sich grob so ein­tei­len:

Lagerbildung und Ausgrenzung

Vie­le wur­den nicht müde, ein „wir hier“ und ein „die da“ auf­zu­bau­en: „Ihr kommt hier her zu uns und macht…“ warf ein Orga-Mit­glied der Flau­sche­ria vor. Die Ver­ein­nah­mung der Mehr­heit für die eige­ne Mei­nung hal­te ich ange­sichts des star­ken und beson­ders geschätz­ten Indi­vi­dua­lis­mus in der Hacker­kul­tur für falsch.

Der Con­gress besteht aus Men­schen, ohne sie wäre er nur ein lee­res Gebäu­de mit bun­ten Schein­wer­fern. Es gibt hier nur die „Basis“, aus der sich Frei­wil­li­ge mel­den, um sich auf ver­schie­de­ne Arten zu betei­li­gen, kei­ne Hier­ar­chie. Mit den Zie­len und dem Selbst­bild des Clubs kön­nen sich alle sicher zu gro­ßen Tei­len iden­ti­fi­zie­ren, aber nicht immer wäh­len sie die­sel­ben Metho­den der Umset­zung. Nie­mand soll­te sich anma­ßen, auf­grund der eige­nen Mei­nung die­se Grup­pe der Hacker_innen in „wir“ und „ihr“ zu unter­tei­len.

Am Ende der erwähn­ten Dis­kus­si­on stand eine schlaue Fra­ge von fasel an das Orga-Mit­glied: „Wer wirft dich raus, wenn du dich dane­ben benimmst?“

Fehlende Solidarisierung

Wäh­rend des Con­gres­ses gab es meh­re­re Aus­sa­gen von anwe­sen­den Hacke­rin­nen auf Twit­ter und in län­ge­ren Tex­ten, dass sie sich auf dem Con­gress (immer) sehr wohl gefühlt hät­ten und kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung erlebt oder mit­be­kom­men hät­ten. Dar­über soll­te man sich sicher freu­en und dar­an auch kei­nen Zwei­fel äußern.

Was ich hier aber ver­mis­se, ist die feh­len­de Soli­da­ri­sie­rung mit Men­schen, die nicht so viel Glück haben. Das klingt für mich zu sehr nach „Selbst schuld“, einem der per­fi­des­ten Mecha­nis­men der Unsicht­bar­ma­chung von gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men. „Ich bin eine Frau und ich wur­de nicht beläs­tigt, daher müs­sen sol­che Vor­fäl­le indi­vi­du­el­le Grün­de haben“ ist ein fata­ler Fehl­schluss.

Das ist kein sel­te­nes Phä­no­men: Es gibt genug erfolg­rei­che Frau­en, die behaup­ten, Femi­nis­mus sei unnö­tig und es müs­se sich jede halt selbst durch­set­zen — man selbst habe es ja auch geschafft.

Außer­dem soll­te es klar sein, dass Aus­sa­gen wie „ich füh­le mich hier 100% sicher“ Applaus von den fal­schen Leu­ten bekom­men. Die­se Sät­ze wer­den näm­lich immer wie­der gern als Beweis geführt, dass Opfer von Dis­kri­mi­nie­rung sich irren müs­sen.

Daher wür­de ich mir wün­schen, dass Hackerinnen/Hacksen, die sich beim Con­gress wohl füh­len, dar­an mit­ar­bei­ten, die­se Situa­ti­on für alle her­zu­stel­len.

Paternalismus

Die Mit­glie­der des CCC las­sen sich nicht ger­ne von ande­ren sagen: Ver­trau uns, wir machen das schon. Das macht sie miss­trau­isch und an die­sen Stel­len in Gesell­schaft und Poli­tik set­zen sie mit not­wen­di­ger Kri­tik an. Einer Obrig­keit, einem Kon­troll­organ blind zu ver­trau­en, käme nicht in Fra­ge.

Inso­fern mutet es sehr merk­wür­dig an, wenn Frank Rie­ger in der Abschluss­ver­an­stal­tung genau das in der Cau­sa Awa­reness for­dert: Lasst uns mal machen, wir küm­mern uns. Die Leu­te, die das Hacker-Jeo­par­dy wegen der sexis­ti­schen Mode­ra­ti­on ver­las­sen haben, ver­trau­en der Orga ganz sicher nicht. Und wenn man einer Instanz nicht ver­traut, nimmt man (allein aus Selbst­schutz) die Sachen selbst in die Hand. Wenn das nicht Hack­ti­vis­mus ist, was dann?

Gleich­zei­tig wird deut­lich, dass es unmög­lich ist, auf einem öffent­li­chen Podi­um in der Rol­le eines CCC-Spre­chers eine pri­va­te Aus­sa­ge zu tref­fen: Frank hat­te zu den Cree­per Cards gesagt, es sei sei­ne per­sön­li­che Mei­nung, dass „wir so etwas nicht brau­chen“. In der Zusam­men­fas­sung auf hei­se online wird dar­aus der offi­zi­el­le Stand­punkt des Clubs. Ich bin rela­tiv sicher, dass Frank das dort nicht rich­tig­stel­len wird.

Außenwirkung

Pro­ble­ma­tisch fand ich den Hin­weis beim Policc­cy-Mee­ting, das ein öffent­lich­keits­wirk­sa­mes Auf­re­gen über Vor­fäl­le, etwa bei Twit­ter, eine nega­ti­ve Außen­wir­kung auf den Con­gress haben könn­te. Die Ver­an­stal­tung kön­ne schlech­ter rüber­kom­men, als sie sei und dadurch sogar Leu­te vom Besuch abhal­ten.

Das macht mich sau­er: Wenn ich mich schlecht füh­le, ist mir so etwas Abs­trak­tes wie Außen­wir­kung wirk­lich egal. Die Auf­for­de­rung kommt mir viel zu nah an Din­ge wie Selbst­zen­sur, „hab dich mal nicht so“ und Intrans­pa­renz. Im CCC ist man dage­gen immer ganz vor­ne mit dabei, sich über Medi­en­fails und Leaks ande­rer Orga­ni­sa­tio­nen lus­tig zu machen.

Es ist sicher kei­ne ein­fa­che Auf­ga­be für die Con­gress-Orga, sich par­al­lel zu einer Ver­an­stal­tung auch noch mit deren Außen­wir­kung aus­ein­an­der zu set­zen und sou­ve­rän auf Beschwer­den und Debat­ten zu reagie­ren. Hier um der schö­nen Ver­an­stal­tung wil­len aber um Beherr­schung zu bit­ten, wird nicht funk­tio­nie­ren.

Eingestehen eigener Fehler

Din­ge, die ich gehört habe: Wir haben kein Pro­blem. Es ist doch schon viel bes­ser gewor­den, was denn noch? Wir küm­mern uns drum. Wenn man auf eine Hacker­kon­fe­renz kommt, muss man damit rech­nen. Wir haben eine Poli­cy.

Din­ge, die ich gern noch öfter hören wür­de: Wir haben ein Pro­blem, und wir wol­len es lösen. Es ist bes­ser gewor­den, aber noch nicht gut genug. Wir wür­den uns ger­ne dar­um küm­mern, bit­te helft uns dabei. So etwas soll­te auf einer Hacker­kon­fe­renz nicht pas­sie­ren. Wir müs­sen unse­re Poli­cy bes­ser durch­set­zen.

Ausblick

Ich wür­de ger­ne eine Debat­te zu all dem sehen. In den Hacker­spaces, im Club, in den Medi­en und zwi­schen uns allen. Und ich wür­de mich freu­en, wenn das Ergeb­nis nicht nur ein bes­se­rer Con­gress in Form eines siche­ren 30C3 wür­de, son­dern auch dort vor Ort wei­ter dis­ku­tiert wür­de. Was bedeu­tet das Selbst­ver­ständ­nis von Hacker_innen? Wo muss man anset­zen, um Räu­me sicher zu gestal­ten? Wie geht man mit Men­schen um, die dem ent­ge­gen­wir­ken wol­len?

Am Ran­de habe ich erfah­ren, dass die quee­ren Anwe­sen­den bei einem Mee­ting dar­über gespro­chen haben, 2013 selbst eine Assem­bly (oder meh­re­re) zu bil­den, um bes­ser sicht­bar zu sein und eine siche­re Anlauf­stel­le zu haben. Das freut mich sehr. Ich hof­fe auch, dass ich mit mei­nem Wunsch, das Awa­ren­ess­team auf dem 30C3 deut­lich sicht­ba­rer zu machen, Erfolg habe.

Einer der bes­ten Tweets wäh­rend des 29C3 kam von Lot­te, die die­ses Mot­to für den 30C3 vor­schlug:

Mein Mottovorschlag für den 30c3: Shooting the messenger.

Das bezieht sich natür­lich auf das Gefühl, das vie­le wäh­rend des Con­gres­ses hat­ten: Pro­ble­ma­tisch sei­en nicht sexis­ti­sche Vor­fäl­le, son­dern die­je­ni­gen, die dar­auf hin­wei­sen.

Ich hal­te das, Sar­kas­mus hin oder her, für eine sehr gute Idee mit Signal­wir­kung und genau auf der Linie der Kon­gress­the­men: 2013 wird über Wiki­leaks ver­han­delt, das The­ma Whist­leb­lo­wing ist nicht durch. Auch der CCC und die Hacker­com­mu­ni­ty stand und steht für die Offen­le­gung von uner­wünsch­ten Machen­schaf­ten oft in der Kri­tik, obwohl sich die Empö­rung gegen die eigent­li­chen Ver­ur­sa­cher rich­ten soll­te. Als fol­low-up zu „Not my depart­ment“ (oh the iro­ny) könn­te ich mir kein bes­se­res Mot­to als „Shoo­ting the mes­sen­ger“ vor­stel­len.

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Ergänzungen seit Veröffentlichung

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