— Der Inventing Room!

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Unterwegs

Neu­lich schrieb ich ins Inter­net, ich wür­de durch mein häu­fi­ges Bahn­fah­ren lang­sam zum IC-Fan. Nicht nur, dass man eini­ge Euro spart (bei acht bis zehn Fahr­ten im Monat sum­miert sich auch das), ich mag die­se Züge in 80er-Jah­re-Pas­tell­far­ben irgend­wie.

Gera­de sit­ze ich auch in einem Abteil, das Mint-Flie­der-Niko­tin-far­ben ein­ge­rich­tet ist und fin­de es sehr gemüt­lich. Es hat etwas von die­ser Bahn­fahr­ro­man­tik, die beim ICE ver­lo­ren gegan­gen ist; der fühlt sich eher an wie ein Flug­zeug auf Schie­nen.

Ich mag die­se klas­si­schen Zug­fens­ter, deren obe­re Hälf­te man nach unten schie­ben kann und die eige­nen Reg­ler für Hei­zung und Laut­stär­ke der Durch­sa­gen. Ich mag auch die­se Schie­be­gar­di­nen, die oft genug aber auch ein­fach schon ver­lo­ren gegan­gen sind, und das alte DB-Logo, das im Spie­gel über jedem Sitz ein­ge­ätzt ist.

Natür­lich ist es lau­ter hier, die Schie­be­fens­ter sind nicht voll­stän­dig dicht und oft braucht man mit einem IC län­ger ans Ziel. Auf mei­nen Stamm­stre­cken von Han­no­ver nach Ber­lin und Ham­burg fällt das aber kaum ins Gewicht. Die paar Minu­ten Fahrt­ver­län­ge­rung macht der Zug, in dem mir die Zeit ange­neh­mer ver­geht, wie­der wett.

Oh weh, sag­te das Inter­net: Da gibt es ja gar kein Inter­net an Bord. Und auch kei­ne Steck­do­sen. Ich sage: Mir doch egal. Für die maxi­mal zwei Stun­den, die ich hier sit­ze, brau­che ich kei­nen zusätz­li­chen Strom. So lan­ge hal­ten es Lap­top und Han­dy auch mit ihren Akkus aus.

Und Inter­net? Bis vor kur­zem hat­te man in den ICE-2-Zügen von Ber­lin aus eh kein Inter­net, ich habe es also nie ver­misst. Vor eini­gen Jah­ren habe ich mich sogar noch dar­über gewun­dert, wenn ande­re Leu­te, die viel Nord-Süd fah­ren, von den Pro­ble­men mit dem Wlan im Zug berich­te­ten. Es gibt Inter­net bei der Bahn?

Oft habe ich mei­ne Gerä­te nicht mal an. Ich schaue jeden Werk­tag acht Stun­den auf einen Moni­tor, davor und danach auch. Ich brau­che die­se 200 Minu­ten in der Woche nicht unbe­dingt einen Bild­schirm. Manch­mal schon — wenn ich gera­de etwas im Kopf habe, das ich auf­schrei­ben möch­te, so wie jetzt gera­de. Aber dafür reicht, wie gesagt, das Off­line-sein und der Lap­top­ak­ku.

Die Beschleu­ni­gung, die Rei­se sorgt bei mir näm­lich meis­tens für eine Ent­schleu­ni­gung. Hier kann ich über das ver­gan­ge­ne Wochen­en­de oder die ver­gan­ge­ne Woche sin­nie­ren oder mir eine Ver­schnauf­pau­se gön­nen, bevor der Arbeits- oder Frei­zeit­stress wie­der beginnt. Dabei mal nicht die gan­ze Welt in einem Gerät zur Ver­fü­gung zu haben, ist extrem ent­span­nend.

Eigent­lich fah­re ich ja Bahn, um irgend­wo hin zu kom­men. Dass ich aber gleich­zei­tig nicht nur geo­gra­fisch, son­dern auch gedank­lich von Din­gen Abstand neh­me, gehört für mich zu den bes­ten Momen­ten mei­ner Wochen. Und irgend­wie geht das im gemüt­lich mensch­li­chen IC bes­ser als im effek­tiv arbeit­sa­men ICE.

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Der 29C3 war mein neun­ter Con­gress in Fol­ge. Er war, auf zwei ver­schie­de­nen Ebe­nen, für mich ziem­lich gut und ziem­lich schlecht. Noch nie habe ich mich auf einem Con­gress so unwohl gefühlt, gleich­zei­tig noch nie so vie­le neue Leu­te ken­nen­ge­lernt. Die Orga, die Tech­nik, die Loca­ti­on, die Talks, die Assem­blies, alles super­toll, und dar­auf bezieht sich auch die Kri­tik, die ich noch anzu­brin­gen habe, ganz und gar nicht.

Die Fra­ge ist für mich, wel­chen Stel­len­wert tat­säch­lich vor­kom­men­de Vor­fäl­le wie eine sexis­ti­sche Mode­ra­ti­on, die Redu­zie­rung von Frau­en auf kopf­lo­se Kör­per oder das Hacken von Asher Wolfs Blog für ver­schie­de­ne Anwe­sen­de haben.

Für die Mehr­heit (wür­de ich ver­mu­ten) sind sol­che Vor­komm­nis­se, sofern sie bemerkt wer­den, Klei­nig­kei­ten. Selbst wenn man sie unschön fän­de, befle­cken sie die gesam­te Ver­an­stal­tung nicht. Sie haben den Stel­len­wert eines zer­bro­che­nen Tel­lers einer Groß­kü­che: Pas­siert, fällt aber nicht ins Gewicht. Ver­lust von einem Pro­mil­le.

Für vie­le ande­re Men­schen, und da schlie­ße ich mich ein, haben die­se Vor­fäl­le ein ande­res Gewicht. Sie sind der Cho­le­ra-Ein­zel­fall auf dem Kreuz­fahrt­schiff oder die Hun­de­ka­cke am Saum vom Hoch­zeits­kleid: Das unschö­ne Tau­sends­tel macht die Gesamt­si­tua­ti­on gefähr­lich oder uner­träg­lich.

Leu­te, die ich sehr schät­ze, sind dem 29C3 von vorn her­ein fern­ge­blie­ben, haben sich dort sehr unwohl gefühlt und/oder sind gleich frü­her abge­reist. (Da hilft auch kein Hin­weis, dass es vor 10 Jah­ren noch viel schlim­mer war.) Mir ist klar: Das will ich nicht. Ich füh­le mich dem Con­gress ver­bun­den und konn­te daher auch nicht anders, als noch auf der Ver­an­stal­tung selbst eine Klä­rung und Pla­nung anzu­schie­ben. Dass zu die­sem soge­nann­ten #policc­cy-Tref­fen rund 100 Anwe­sen­de erschie­nen, zeigt mir, dass ein tat­säch­li­cher Hand­lungs­be­darf besteht.

Ich hof­fe sehr, dass aus dem Hick­hack und der Wut der letz­ten Tage eine kon­struk­ti­ve Situa­ti­on für die Pla­nung und Durch­füh­rung des 30C3 ent­steht. Ich bin jeden­falls dazu bereit, mit mei­ner Zeit und mei­nen Ide­en einen Bei­trag dazu zu leis­ten. Der CCC ist kein homo­ge­nes Gebil­de: Ich habe meh­re­re unschö­ne Aktio­nen „hoch­ran­gi­ger“ Mit­glie­der erlebt, in glei­cher Wei­se aber auch mit lang­jäh­ri­gen Orga-Mit­glie­dern gere­det, die mei­ne Beden­ken weit­ge­hend tei­len. Die­se Posi­tio­nen müs­sen wir stär­ken.

Noch zwei Sät­ze zu den Cree­per Move Cards: Die inten­dier­te Wir­kung wur­de ver­fehlt und ich bin mitt­ler­wei­le auch nicht mehr davon über­zeugt, dass die Akti­on in die­ser Form eine gute Idee war. Ich hof­fe, dass in den lau­fen­den und noch kom­men­den Dis­kus­sio­nen die Kar­ten-Akti­on und das grö­ße­re Anlie­gen (näm­lich, dass der Con­gress ein Pro­blem mit Sexis­mus hat) getrennt von­ein­an­der behan­delt wer­den. Die not­wen­di­ge Dis­kus­si­on steht jetzt im Raum und da ist es mir rela­tiv egal, ob sie durch eine gelun­ge­ne oder nicht gelun­ge­ne Akti­on dahin gelangt ist.

Mein Bauch­weh wäh­rend des und nach dem 29C3 lässt sich grob so ein­tei­len:

Lagerbildung und Ausgrenzung

Vie­le wur­den nicht müde, ein „wir hier“ und ein „die da“ auf­zu­bau­en: „Ihr kommt hier her zu uns und macht…“ warf ein Orga-Mit­glied der Flau­sche­ria vor. Die Ver­ein­nah­mung der Mehr­heit für die eige­ne Mei­nung hal­te ich ange­sichts des star­ken und beson­ders geschätz­ten Indi­vi­dua­lis­mus in der Hacker­kul­tur für falsch.

Der Con­gress besteht aus Men­schen, ohne sie wäre er nur ein lee­res Gebäu­de mit bun­ten Schein­wer­fern. Es gibt hier nur die „Basis“, aus der sich Frei­wil­li­ge mel­den, um sich auf ver­schie­de­ne Arten zu betei­li­gen, kei­ne Hier­ar­chie. Mit den Zie­len und dem Selbst­bild des Clubs kön­nen sich alle sicher zu gro­ßen Tei­len iden­ti­fi­zie­ren, aber nicht immer wäh­len sie die­sel­ben Metho­den der Umset­zung. Nie­mand soll­te sich anma­ßen, auf­grund der eige­nen Mei­nung die­se Grup­pe der Hacker_innen in „wir“ und „ihr“ zu unter­tei­len.

Am Ende der erwähn­ten Dis­kus­si­on stand eine schlaue Fra­ge von fasel an das Orga-Mit­glied: „Wer wirft dich raus, wenn du dich dane­ben benimmst?“

Fehlende Solidarisierung

Wäh­rend des Con­gres­ses gab es meh­re­re Aus­sa­gen von anwe­sen­den Hacke­rin­nen auf Twit­ter und in län­ge­ren Tex­ten, dass sie sich auf dem Con­gress (immer) sehr wohl gefühlt hät­ten und kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung erlebt oder mit­be­kom­men hät­ten. Dar­über soll­te man sich sicher freu­en und dar­an auch kei­nen Zwei­fel äußern.

Was ich hier aber ver­mis­se, ist die feh­len­de Soli­da­ri­sie­rung mit Men­schen, die nicht so viel Glück haben. Das klingt für mich zu sehr nach „Selbst schuld“, einem der per­fi­des­ten Mecha­nis­men der Unsicht­bar­ma­chung von gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men. „Ich bin eine Frau und ich wur­de nicht beläs­tigt, daher müs­sen sol­che Vor­fäl­le indi­vi­du­el­le Grün­de haben“ ist ein fata­ler Fehl­schluss.

Das ist kein sel­te­nes Phä­no­men: Es gibt genug erfolg­rei­che Frau­en, die behaup­ten, Femi­nis­mus sei unnö­tig und es müs­se sich jede halt selbst durch­set­zen — man selbst habe es ja auch geschafft.

Außer­dem soll­te es klar sein, dass Aus­sa­gen wie „ich füh­le mich hier 100% sicher“ Applaus von den fal­schen Leu­ten bekom­men. Die­se Sät­ze wer­den näm­lich immer wie­der gern als Beweis geführt, dass Opfer von Dis­kri­mi­nie­rung sich irren müs­sen.

Daher wür­de ich mir wün­schen, dass Hackerinnen/Hacksen, die sich beim Con­gress wohl füh­len, dar­an mit­ar­bei­ten, die­se Situa­ti­on für alle her­zu­stel­len.

Paternalismus

Die Mit­glie­der des CCC las­sen sich nicht ger­ne von ande­ren sagen: Ver­trau uns, wir machen das schon. Das macht sie miss­trau­isch und an die­sen Stel­len in Gesell­schaft und Poli­tik set­zen sie mit not­wen­di­ger Kri­tik an. Einer Obrig­keit, einem Kon­troll­organ blind zu ver­trau­en, käme nicht in Fra­ge.

Inso­fern mutet es sehr merk­wür­dig an, wenn Frank Rie­ger in der Abschluss­ver­an­stal­tung genau das in der Cau­sa Awa­reness for­dert: Lasst uns mal machen, wir küm­mern uns. Die Leu­te, die das Hacker-Jeo­par­dy wegen der sexis­ti­schen Mode­ra­ti­on ver­las­sen haben, ver­trau­en der Orga ganz sicher nicht. Und wenn man einer Instanz nicht ver­traut, nimmt man (allein aus Selbst­schutz) die Sachen selbst in die Hand. Wenn das nicht Hack­ti­vis­mus ist, was dann?

Gleich­zei­tig wird deut­lich, dass es unmög­lich ist, auf einem öffent­li­chen Podi­um in der Rol­le eines CCC-Spre­chers eine pri­va­te Aus­sa­ge zu tref­fen: Frank hat­te zu den Cree­per Cards gesagt, es sei sei­ne per­sön­li­che Mei­nung, dass „wir so etwas nicht brau­chen“. In der Zusam­men­fas­sung auf hei­se online wird dar­aus der offi­zi­el­le Stand­punkt des Clubs. Ich bin rela­tiv sicher, dass Frank das dort nicht rich­tig­stel­len wird.

Außenwirkung

Pro­ble­ma­tisch fand ich den Hin­weis beim Policc­cy-Mee­ting, das ein öffent­lich­keits­wirk­sa­mes Auf­re­gen über Vor­fäl­le, etwa bei Twit­ter, eine nega­ti­ve Außen­wir­kung auf den Con­gress haben könn­te. Die Ver­an­stal­tung kön­ne schlech­ter rüber­kom­men, als sie sei und dadurch sogar Leu­te vom Besuch abhal­ten.

Das macht mich sau­er: Wenn ich mich schlecht füh­le, ist mir so etwas Abs­trak­tes wie Außen­wir­kung wirk­lich egal. Die Auf­for­de­rung kommt mir viel zu nah an Din­ge wie Selbst­zen­sur, „hab dich mal nicht so“ und Intrans­pa­renz. Im CCC ist man dage­gen immer ganz vor­ne mit dabei, sich über Medi­en­fails und Leaks ande­rer Orga­ni­sa­tio­nen lus­tig zu machen.

Es ist sicher kei­ne ein­fa­che Auf­ga­be für die Con­gress-Orga, sich par­al­lel zu einer Ver­an­stal­tung auch noch mit deren Außen­wir­kung aus­ein­an­der zu set­zen und sou­ve­rän auf Beschwer­den und Debat­ten zu reagie­ren. Hier um der schö­nen Ver­an­stal­tung wil­len aber um Beherr­schung zu bit­ten, wird nicht funk­tio­nie­ren.

Eingestehen eigener Fehler

Din­ge, die ich gehört habe: Wir haben kein Pro­blem. Es ist doch schon viel bes­ser gewor­den, was denn noch? Wir küm­mern uns drum. Wenn man auf eine Hacker­kon­fe­renz kommt, muss man damit rech­nen. Wir haben eine Poli­cy.

Din­ge, die ich gern noch öfter hören wür­de: Wir haben ein Pro­blem, und wir wol­len es lösen. Es ist bes­ser gewor­den, aber noch nicht gut genug. Wir wür­den uns ger­ne dar­um küm­mern, bit­te helft uns dabei. So etwas soll­te auf einer Hacker­kon­fe­renz nicht pas­sie­ren. Wir müs­sen unse­re Poli­cy bes­ser durch­set­zen.

Ausblick

Ich wür­de ger­ne eine Debat­te zu all dem sehen. In den Hacker­spaces, im Club, in den Medi­en und zwi­schen uns allen. Und ich wür­de mich freu­en, wenn das Ergeb­nis nicht nur ein bes­se­rer Con­gress in Form eines siche­ren 30C3 wür­de, son­dern auch dort vor Ort wei­ter dis­ku­tiert wür­de. Was bedeu­tet das Selbst­ver­ständ­nis von Hacker_innen? Wo muss man anset­zen, um Räu­me sicher zu gestal­ten? Wie geht man mit Men­schen um, die dem ent­ge­gen­wir­ken wol­len?

Am Ran­de habe ich erfah­ren, dass die quee­ren Anwe­sen­den bei einem Mee­ting dar­über gespro­chen haben, 2013 selbst eine Assem­bly (oder meh­re­re) zu bil­den, um bes­ser sicht­bar zu sein und eine siche­re Anlauf­stel­le zu haben. Das freut mich sehr. Ich hof­fe auch, dass ich mit mei­nem Wunsch, das Awa­ren­ess­team auf dem 30C3 deut­lich sicht­ba­rer zu machen, Erfolg habe.

Einer der bes­ten Tweets wäh­rend des 29C3 kam von Lot­te, die die­ses Mot­to für den 30C3 vor­schlug:

Mein Mottovorschlag für den 30c3: Shooting the messenger.

Das bezieht sich natür­lich auf das Gefühl, das vie­le wäh­rend des Con­gres­ses hat­ten: Pro­ble­ma­tisch sei­en nicht sexis­ti­sche Vor­fäl­le, son­dern die­je­ni­gen, die dar­auf hin­wei­sen.

Ich hal­te das, Sar­kas­mus hin oder her, für eine sehr gute Idee mit Signal­wir­kung und genau auf der Linie der Kon­gress­the­men: 2013 wird über Wiki­leaks ver­han­delt, das The­ma Whist­leb­lo­wing ist nicht durch. Auch der CCC und die Hacker­com­mu­ni­ty stand und steht für die Offen­le­gung von uner­wünsch­ten Machen­schaf­ten oft in der Kri­tik, obwohl sich die Empö­rung gegen die eigent­li­chen Ver­ur­sa­cher rich­ten soll­te. Als fol­low-up zu „Not my depart­ment“ (oh the iro­ny) könn­te ich mir kein bes­se­res Mot­to als „Shoo­ting the mes­sen­ger“ vor­stel­len.

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Ergänzungen seit Veröffentlichung

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Die meis­ten Arti­kel schrei­be ich, zumin­dest in Stich­punk­ten, im Kopf. Meis­tens unter der Dusche, im Bett oder auf dem Fahr­rad. Da ich mir Sachen nicht so gut mer­ken kann, bis ich mal wie­der vor einer Tas­ta­tur sit­ze, wer­den die meis­ten Gedan­ken am Ende dann doch kei­ne Arti­kel.

Der heu­ti­ge Arti­kel, der eigent­lich auch wie so vie­le ande­re gar nicht erst ent­stan­den wäre, hät­te den Titel: „War­um ich nicht mehr auf Floh­märk­te gehe“. Er wäre in etwa so gegan­gen:

Heu­te war ich mal wie­der auf einem Floh­markt. Ich habe aber nichts gekauft — irgend­wie gibt es da dann mitt­ler­wei­le ja doch fast nichts mehr zu fin­den. Wür­de man ehr­lich durch­sor­tie­ren, könn­te man ca 50% der ange­bo­te­nen Waren sofort ent­sor­gen, weil gleich auf den ers­ten Blick offen­sicht­lich wird, dass es sich um Ramsch han­delt, den sich die Besit­zer noch nicht getraut haben, weg­zu­wer­fen, obwohl klar ist, dass nie­mand mehr etwas damit anfan­gen kann: Spie­le, bei denen Tei­le feh­len, Wer­be­ge­schen­ke, selbst­ge­brann­te CDs.

Aber auch beim Rest wer­de ich nicht fün­dig, bei Klei­dung z.B. — nur ganz sel­ten mal. Das liegt auch dar­an, dass 80% aller Klei­dung Damen­klei­dung ist. Ich weiß nicht, was Män­ner da ten­den­zi­ell anders machen, dass sie auf dem Floh­markt eher wenig anzu­bie­ten haben. Ich ver­mu­te, dass da zusam­men­kommt, dass sie eher funk­tio­nal ein­kau­fen und Din­ge tra­gen, bis sie kaputt gehen und dass ihre Klei­dung weni­ger beson­ders ist und daher beim Sor­tie­ren der abge­leg­ten Tei­le das meis­te eben gleich im Alt­klei­der­sack lan­det (da klar ist, dass nie­mand Inter­es­se an einem bei­gen aus­ge­beul­ten Baum­woll­pull­over hat — jeden­falls nicht an noch einem).

Da gibt’s ein­fach nichts, und wenn es doch mal Sachen mit Wert sind, dann sind sie auch gebraucht noch zu teu­er und sowie­so nicht in mei­ner Grö­ße. Der Aspekt der Grö­ße ist es auch, der dann die mög­li­cher­wei­se inter­es­san­ten Stü­cke an Damen- und/oder Uni­sex-Klei­dung unat­trak­tiv macht, für Schu­he gilt das­sel­be.

Aber es gibt ja nicht nur Klei­dung. Es gibt alles. Nur das Beson­de­re fehlt — wer schlau ist, hat das im Vor­feld natür­lich schon auf ebay ver­kauft. Das weiß ich aus eige­ner Erfah­rung, ich hab es ja selbst schon genau so gemacht. Was bleibt, ist das Mit­tel­feld: Schmuck, Bücher, Ton­trä­ger und Abspiel­ge­rä­te. Das wenigs­te davon will ich haben, inzwi­schen bin ich ja dank­bar für alles, das vir­tu­ell ist und kei­nen Raum ein­nimmt.

Inso­fern stel­le ich mir die Fra­ge: War­um lau­fe ich da eigent­lich immer noch hin und schau mir die Stän­de genau durch? (Das ist dann auch der Moment, wo ich mer­ke, grü­belnd auf dem Fahr­rad sit­zend, dass der Arti­kel nicht unbe­dingt geschrie­ben wer­den muss. Ich ken­ne näm­lich genug Men­schen, die schlau­er sind als ich, und sich genau das schon vor 10 Jah­ren über­legt haben und sich seit­dem nur noch wider­wil­lig auf Floh­märk­te bewe­gen las­sen. Und einen Arti­kel, auf den man haupt­säch­lich mit „Merks­te sel­ber, ne?“ ant­wor­ten kann, muss man viel­leicht nicht schrei­ben.)

Ich glau­be, es liegt dar­an, dass ich zwei­mal Glück und ein­mal Pech auf Floh­märk­ten hat­te. Ein­mal fand ich, vor 15 Jah­ren, ein frü­hes sel­te­nes „Star Trek“-Buch; eine deut­sche Über­set­zung in einem Kin­der­buch­ver­lag aus den spä­ten 60ern, bevor die Serie über­haupt im Fern­se­hen lief. In der deut­schen Bear­bei­tung waren the­ma­ti­sche Anpas­sun­gen vor­ge­nom­men wur­den, außer­dem gab es skur­ri­le Zeich­nun­gen, die ein deut­scher Illus­tra­tor dem Text zur Sei­te gestellt hat­te, offen­bar ohne zu wis­sen, dass das Buch sei­ner­seits auf einer ame­ri­ka­ni­schen Fern­seh­se­rie beruh­te. Inso­fern ein inter­es­san­tes Samm­ler­stück. Das Buch habe ich für 1 DM mit­ge­nom­men und spä­ter irgend­wann mal für deut­lich mehr wei­ter­ver­kauft.

Das ande­re Mal kauf­te ich für 15 Euro ein Casio-Key­board, dass sich auf­grund sei­ner Schal­tung eini­ge Zeit spä­ter durch Anlei­tun­gen im Inter­net als belieb­tes Objekt für künst­le­ri­sche Mani­pu­la­ti­on her­aus­stell­te. Als ich ein, zwei Jah­re danach das­sel­be Gerät noch ein­mal auf einem Floh­markt ent­deck­te, ließ ich es ste­hen, weil es 20 Euro kos­ten soll­te und auch etwas dre­ckig war. Daheim habe ich dann her­aus­ge­fun­den, dass es im Inter­net in Zwi­schen­zeit für eher 100 Euro gehan­delt wur­de.

Inso­fern ist es bei mir wohl der Casio-Fluch: Ich war­te seit­dem (und das ist schon bestimmt 6 Jah­re her) dar­auf, dass sich die­ses Pech (und zwar  ja nur das Pech, ein gutes Geschäft ver­passt zu haben) irgend­wann mal wie­der aus­gleicht — indem ich irgend ein Ding auf dem Floh­markt ent­de­cke, dass ich ent­we­der selbst immer haben woll­te oder das durch Unwis­sen­heit viel zu güns­tig ange­bo­ten wird, was außer mir natür­lich kei­ner weiß.

Das ist natür­lich ein ziem­lich blö­der Grund. Noch dazu, weil es ansons­ten nicht gera­de zu mei­nen Lieb­lings­be­schäf­ti­gun­gen gehört, mich durch Men­schen­mas­sen zu bewe­gen oder, ganz grund­sätz­lich, über­haupt ein­kau­fen zu müs­sen.

Heu­te gab es genau ein Ding, das mich inter­es­siert hat: Ein Kame­ra­ob­jek­tiv, das auf mei­ne Kame­ra pas­sen wür­de und auch, trotz des Alters, ganz gut aus­sah. Inzwi­schen habe ich ein Smart­pho­ne und schla­ge in sol­chen Fäl­len natür­lich sofort nach, ob der ange­ge­be­ne Preis in Ord­nung ist. Lei­der (oder zum Glück) konn­te mir das Inter­net bei die­sem Modell nicht wei­ter­hel­fen. Und da ich in den letz­ten Mona­ten schon öfter von mei­ner frü­her pro­blem­los erfüll­ba­ren Regel abge­wi­chen bin („Ich soll­te wenigs­tens eine Sache kau­fen, damit sich der Besuch des Floh­markt wenigs­tens gelohnt hat.“), fuhr ich die­ses Mal auch wie­der ohne Kauf davon.

Alles in allem also ziem­lich unsin­nig, und doch sehr mensch­lich. Mei­ne Neu­gier­de, mein Hob­by-Archäo­lo­gen­tum im Bereich „Ramsch“ und die lei­se Hoff­nung das eige­ne Erfolgs­kon­to doch irgend­wann wie­der auf Null zu brin­gen (d.h. den „Casio-Fluch“ los­zu­wer­den) — ich befürch­te, das treibt mich dann doch immer mal wie­der auf einen Floh­markt, wenn die Son­ne scheint und ich mir aus Gewohn­heit den­ke: „Ach ja, da könn­te ich ja mal hin­ge­hen.“

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Ist das der Ort für Auf­sät­ze à la „Mein schöns­tes Feri­en­er­leb­nis“?

Egal, ich war in Wien und ich bin ange­tan. War­um auch immer es bis 2012 gedau­ert hat, denn Wien ist eine Stadt, die mir gefällt. Aus der Sicht eines Tou­ris­ten natür­lich, denn auch wenn der Gedan­ke „ach, hier könn­te ich auch gut leben“ schnell kommt, weiß ich dann doch zu wenig über die Bezir­ke, wer wo lebt und wo ver­drängt wird.

Was kann man in drei Tagen sehen? In die­sem Fall waren es tou­ris­ti­sche Zie­le wie die Innen­stadt mit Ste­phans­dom und Pra­ter und Nasch­markt und (wegen des Regens) ein Muse­ums­be­such im Natur­his­to­ri­schen Muse­um. Aber natür­lich auch: Das Muse­ums­quar­tier mit dem Büro der Künst­ler­grup­pe mono­chrom und dem 8-bit-Laden Sub­o­tron.

Und viel Her­um­lau­fen, im 7. Bezirk (Neu­bau) hin­ter dem MQ, im 16. Bezirk (Otta­kring) und über­all guten Kaf­fee trin­ken: Im Lite­ra­tur­ca­fé phil und am Yppen­platz am Ende des Brun­nen­markts. Mit Twit­ter-Freun­d_in­nen im top kino Bier trin­ken und trotz­dem mit dem Nacht­bus in 20 Minu­ten wie­der in der Feri­en­woh­nung im 3. Bezirk sein. Auf der Donau­in­sel in der Son­ne her­um­sit­zen. Den Hacker­space, das Meta­lab besu­chen.

Das hat sich alles, jeden­falls in den drei Tagen, als die­se Mischung aus Groß­stadt und Unauf­ge­regt­heit, aus groß und klein her­aus­ge­stellt, die ich hier in Ber­lin schät­ze und bis­her nicht oft in ande­ren Städ­ten gefun­den habe; viel­leicht noch in Ham­burg. Und so rich­tig häss­lich ist es in Wien auch nir­gends (etwas, dass ich schon letz­tes Jahr in Graz fest­ge­stellt habe, viel­leicht liegt es ja an Öster­reich).

Die Fra­ge bleibt, wie man mit sol­chen Städ­ten und der neu gefun­de­nen Begeis­te­rung umgeht. Immer mal wie­der drei Tage hin­fah­ren? Ein­fach mal pla­nen, län­ger dort zu arbei­ten und alles aus der Bewoh­ner­per­spek­ti­ve zu erfah­ren? Viel­leicht ein Mit­tel­ding und ein Grund sich mal Woh­nungs­tausch-Sei­ten anzu­se­hen. Wo man am Inter­net sitzt und sei­ne Arbeit tut — das könn­te ja auch mal ein Monat Wien sein.

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