Raketenregen
Der 29C3 war mein neunter Congress in Folge. Er war, auf zwei verschiedenen Ebenen, für mich ziemlich gut und ziemlich schlecht. Noch nie habe ich mich auf einem Congress so unwohl gefühlt, gleichzeitig noch nie so viele neue Leute kennengelernt. Die Orga, die Technik, die Location, die Talks, die Assemblies, alles supertoll, und darauf bezieht sich auch die Kritik, die ich noch anzubringen habe, ganz und gar nicht.
Die Frage ist für mich, welchen Stellenwert tatsächlich vorkommende Vorfälle wie eine sexistische Moderation, die Reduzierung von Frauen auf kopflose Körper oder das Hacken von Asher Wolfs Blog für verschiedene Anwesende haben.
Für die Mehrheit (würde ich vermuten) sind solche Vorkommnisse, sofern sie bemerkt werden, Kleinigkeiten. Selbst wenn man sie unschön fände, beflecken sie die gesamte Veranstaltung nicht. Sie haben den Stellenwert eines zerbrochenen Tellers einer Großküche: Passiert, fällt aber nicht ins Gewicht. Verlust von einem Promille.
Für viele andere Menschen, und da schließe ich mich ein, haben diese Vorfälle ein anderes Gewicht. Sie sind der Cholera-Einzelfall auf dem Kreuzfahrtschiff oder die Hundekacke am Saum vom Hochzeitskleid: Das unschöne Tausendstel macht die Gesamtsituation gefährlich oder unerträglich.
Leute, die ich sehr schätze, sind dem 29C3 von vorn herein ferngeblieben, haben sich dort sehr unwohl gefühlt und/oder sind gleich früher abgereist. (Da hilft auch kein Hinweis, dass es vor 10 Jahren noch viel schlimmer war.) Mir ist klar: Das will ich nicht. Ich fühle mich dem Congress verbunden und konnte daher auch nicht anders, als noch auf der Veranstaltung selbst eine Klärung und Planung anzuschieben. Dass zu diesem sogenannten #policccy-Treffen rund 100 Anwesende erschienen, zeigt mir, dass ein tatsächlicher Handlungsbedarf besteht.
Ich hoffe sehr, dass aus dem Hickhack und der Wut der letzten Tage eine konstruktive Situation für die Planung und Durchführung des 30C3 entsteht. Ich bin jedenfalls dazu bereit, mit meiner Zeit und meinen Ideen einen Beitrag dazu zu leisten. Der CCC ist kein homogenes Gebilde: Ich habe mehrere unschöne Aktionen „hochrangiger“ Mitglieder erlebt, in gleicher Weise aber auch mit langjährigen Orga-Mitgliedern geredet, die meine Bedenken weitgehend teilen. Diese Positionen müssen wir stärken.
Noch zwei Sätze zu den Creeper Move Cards: Die intendierte Wirkung wurde verfehlt und ich bin mittlerweile auch nicht mehr davon überzeugt, dass die Aktion in dieser Form eine gute Idee war. Ich hoffe, dass in den laufenden und noch kommenden Diskussionen die Karten-Aktion und das größere Anliegen (nämlich, dass der Congress ein Problem mit Sexismus hat) getrennt voneinander behandelt werden. Die notwendige Diskussion steht jetzt im Raum und da ist es mir relativ egal, ob sie durch eine gelungene oder nicht gelungene Aktion dahin gelangt ist.
Mein Bauchweh während des und nach dem 29C3 lässt sich grob so einteilen:
Lagerbildung und Ausgrenzung
Viele wurden nicht müde, ein „wir hier“ und ein „die da“ aufzubauen: „Ihr kommt hier her zu uns und macht…“ warf ein Orga-Mitglied der Flauscheria vor. Die Vereinnahmung der Mehrheit für die eigene Meinung halte ich angesichts des starken und besonders geschätzten Individualismus in der Hackerkultur für falsch.
Der Congress besteht aus Menschen, ohne sie wäre er nur ein leeres Gebäude mit bunten Scheinwerfern. Es gibt hier nur die „Basis“, aus der sich Freiwillige melden, um sich auf verschiedene Arten zu beteiligen, keine Hierarchie. Mit den Zielen und dem Selbstbild des Clubs können sich alle sicher zu großen Teilen identifizieren, aber nicht immer wählen sie dieselben Methoden der Umsetzung. Niemand sollte sich anmaßen, aufgrund der eigenen Meinung diese Gruppe der Hacker_innen in „wir“ und „ihr“ zu unterteilen.
Am Ende der erwähnten Diskussion stand eine schlaue Frage von fasel an das Orga-Mitglied: „Wer wirft dich raus, wenn du dich daneben benimmst?“
Fehlende Solidarisierung
Während des Congresses gab es mehrere Aussagen von anwesenden Hackerinnen auf Twitter und in längeren Texten, dass sie sich auf dem Congress (immer) sehr wohl gefühlt hätten und keine Diskriminierung erlebt oder mitbekommen hätten. Darüber sollte man sich sicher freuen und daran auch keinen Zweifel äußern.
Was ich hier aber vermisse, ist die fehlende Solidarisierung mit Menschen, die nicht so viel Glück haben. Das klingt für mich zu sehr nach „Selbst schuld“, einem der perfidesten Mechanismen der Unsichtbarmachung von gesellschaftlichen Problemen. „Ich bin eine Frau und ich wurde nicht belästigt, daher müssen solche Vorfälle individuelle Gründe haben“ ist ein fataler Fehlschluss.
Das ist kein seltenes Phänomen: Es gibt genug erfolgreiche Frauen, die behaupten, Feminismus sei unnötig und es müsse sich jede halt selbst durchsetzen — man selbst habe es ja auch geschafft.
Außerdem sollte es klar sein, dass Aussagen wie „ich fühle mich hier 100% sicher“ Applaus von den falschen Leuten bekommen. Diese Sätze werden nämlich immer wieder gern als Beweis geführt, dass Opfer von Diskriminierung sich irren müssen.
Daher würde ich mir wünschen, dass Hackerinnen/Hacksen, die sich beim Congress wohl fühlen, daran mitarbeiten, diese Situation für alle herzustellen.
Paternalismus
Die Mitglieder des CCC lassen sich nicht gerne von anderen sagen: Vertrau uns, wir machen das schon. Das macht sie misstrauisch und an diesen Stellen in Gesellschaft und Politik setzen sie mit notwendiger Kritik an. Einer Obrigkeit, einem Kontrollorgan blind zu vertrauen, käme nicht in Frage.
Insofern mutet es sehr merkwürdig an, wenn Frank Rieger in der Abschlussveranstaltung genau das in der Causa Awareness fordert: Lasst uns mal machen, wir kümmern uns. Die Leute, die das Hacker-Jeopardy wegen der sexistischen Moderation verlassen haben, vertrauen der Orga ganz sicher nicht. Und wenn man einer Instanz nicht vertraut, nimmt man (allein aus Selbstschutz) die Sachen selbst in die Hand. Wenn das nicht Hacktivismus ist, was dann?
Gleichzeitig wird deutlich, dass es unmöglich ist, auf einem öffentlichen Podium in der Rolle eines CCC-Sprechers eine private Aussage zu treffen: Frank hatte zu den Creeper Cards gesagt, es sei seine persönliche Meinung, dass „wir so etwas nicht brauchen“. In der Zusammenfassung auf heise online wird daraus der offizielle Standpunkt des Clubs. Ich bin relativ sicher, dass Frank das dort nicht richtigstellen wird.
Außenwirkung
Problematisch fand ich den Hinweis beim Policccy-Meeting, das ein öffentlichkeitswirksames Aufregen über Vorfälle, etwa bei Twitter, eine negative Außenwirkung auf den Congress haben könnte. Die Veranstaltung könne schlechter rüberkommen, als sie sei und dadurch sogar Leute vom Besuch abhalten.
Das macht mich sauer: Wenn ich mich schlecht fühle, ist mir so etwas Abstraktes wie Außenwirkung wirklich egal. Die Aufforderung kommt mir viel zu nah an Dinge wie Selbstzensur, „hab dich mal nicht so“ und Intransparenz. Im CCC ist man dagegen immer ganz vorne mit dabei, sich über Medienfails und Leaks anderer Organisationen lustig zu machen.
Es ist sicher keine einfache Aufgabe für die Congress-Orga, sich parallel zu einer Veranstaltung auch noch mit deren Außenwirkung auseinander zu setzen und souverän auf Beschwerden und Debatten zu reagieren. Hier um der schönen Veranstaltung willen aber um Beherrschung zu bitten, wird nicht funktionieren.
Eingestehen eigener Fehler
Dinge, die ich gehört habe: Wir haben kein Problem. Es ist doch schon viel besser geworden, was denn noch? Wir kümmern uns drum. Wenn man auf eine Hackerkonferenz kommt, muss man damit rechnen. Wir haben eine Policy.
Dinge, die ich gern noch öfter hören würde: Wir haben ein Problem, und wir wollen es lösen. Es ist besser geworden, aber noch nicht gut genug. Wir würden uns gerne darum kümmern, bitte helft uns dabei. So etwas sollte auf einer Hackerkonferenz nicht passieren. Wir müssen unsere Policy besser durchsetzen.
Ausblick
Ich würde gerne eine Debatte zu all dem sehen. In den Hackerspaces, im Club, in den Medien und zwischen uns allen. Und ich würde mich freuen, wenn das Ergebnis nicht nur ein besserer Congress in Form eines sicheren 30C3 würde, sondern auch dort vor Ort weiter diskutiert würde. Was bedeutet das Selbstverständnis von Hacker_innen? Wo muss man ansetzen, um Räume sicher zu gestalten? Wie geht man mit Menschen um, die dem entgegenwirken wollen?
Am Rande habe ich erfahren, dass die queeren Anwesenden bei einem Meeting darüber gesprochen haben, 2013 selbst eine Assembly (oder mehrere) zu bilden, um besser sichtbar zu sein und eine sichere Anlaufstelle zu haben. Das freut mich sehr. Ich hoffe auch, dass ich mit meinem Wunsch, das Awarenessteam auf dem 30C3 deutlich sichtbarer zu machen, Erfolg habe.
Einer der besten Tweets während des 29C3 kam von Lotte, die dieses Motto für den 30C3 vorschlug:
Das bezieht sich natürlich auf das Gefühl, das viele während des Congresses hatten: Problematisch seien nicht sexistische Vorfälle, sondern diejenigen, die darauf hinweisen.
Ich halte das, Sarkasmus hin oder her, für eine sehr gute Idee mit Signalwirkung und genau auf der Linie der Kongressthemen: 2013 wird über Wikileaks verhandelt, das Thema Whistleblowing ist nicht durch. Auch der CCC und die Hackercommunity stand und steht für die Offenlegung von unerwünschten Machenschaften oft in der Kritik, obwohl sich die Empörung gegen die eigentlichen Verursacher richten sollte. Als follow-up zu „Not my department“ (oh the irony) könnte ich mir kein besseres Motto als „Shooting the messenger“ vorstellen.
Links
- Popcccorn-Dokumentation
- Mitschrift des Policccy-Treffens
- Rückblick von Rya
- Rückblick von map
- Martina zu den Creeper Move Cards
- Aschenbrennerin zu den Creeper Move Cards
„Eingestehen eigener Fehler“
Macht ihr da auch mit oder gilt das nur für die Anderen?
Ich spreche für mich, daher weiß ich nicht so ganz, wer „ihr“ oder „die Anderen“ sein sollen. Siehe das, was ich unter „Lagerbildung“ geschrieben habe.
> […] die Reduzierung von Frauen auf kopflose Körper
Bitte lesen sie http://mirromaru.tumblr.com/post/39382307717/oh-teh-drama-or-why-i-stickered-a-naked-headless
Hab ich gesehen. Klingt nicht sehr problembewusst.
Meine tiefste Bewunderung für so viel Hoffnung.
„Problematisch seien diejenigen, die darauf hinweisen“ — das würde ich so tatsächlich unterschreiben. Allerdings ganz und gar nicht wegen den Hinweisen als solches, und daher finde ich auch den Mottovorschlag nicht sonderlich treffend. Ich wage zu behaupten, dass die meisten, wenn nicht sogar alle, auf dem Congress ein Interesse daran haben, dass sich jeder/jede dort wohl fühlt.
Bitte versuche Dich doch ein paar Minuten in die andere Seite, um das mal polarisierend so zu nennen, hereinzuversetzen. Da ist eine Veranstaltung, auf die sich viele das ganze Jahr über freuen, unfassbare Energie und Zeit in Vorbereitung und Durchführung stecken, und die für sie durchaus eine Art „Safe Space“ darstellt, ein Ort, in dem sie nicht der komische Nerd sind, sondern unter ihresgleichen, ein Familientreffen, bei dem man sich endlich nicht rechtfertigen muss.
Und nun kommt da eine Gruppierung daher, und legt den Finger in eine Wunde: Dass sich eben nicht jeder dort wohl fühlt, dass es Aspekte gibt, die angreifen und ausgrenzen. Natürlich triggert das erst Abwehrreaktionen und Unverständnis — insbesondere, weil ich mir fast sicher bin, dass den meisten Anwesenden das Problem nicht bewusst ist. Hier wäre es wesentlich hilfreicher gewesen, erst einmal das Problem zu verdeutlichen, und vor allem auch konstruktive Lösungsvorschläge aufzuzeigen, statt mit mehr oder weniger glücklich formulierten Karten einen papiergewordenen Mittelfinger in die Runde zu werfen.
Ich für meinen Teil glaube daher auch, dass auch die Vorfälle bei Hacker Jeopardy zunächst ein reiner Ausdruck von einer gewissen Hilflosigkeit waren, die sich dann gewaltig hochgeschaukelt haben (Wo definitv auch beide Seiten dazu beigetragen haben). Es ist doch durchaus was wahres an der Frage, wie man denn sinnvoll vorgehen soll, wenn man einerseits eine gesunde Heterogenität der Teilnehmer herstellen will, andererseits aber eben gerade nicht nach Geschlecht oder ähnlichen Merkmalen vorgehen soll. Statt eines rote Karten Sturms wäre da ein „Hey, so und so geht das besser“ viel hilfreicher — und offen gesagt, ich für meinen Teil weiss nicht, wie man das politisch korrekt tun sollte.
Ich glaube, die Ziele und Wünsche der meisten Teilnehmer des Congress sind sehr ähnlich. Nur ist in der Diskussion bislang der einzige Erfolg, dass sich alle beteiligten Parteien hochgeschaukelt haben, und auf ihren Maximalpositionen eingegraben haben. Das ist natürlich ein super Imagegewinn für die jeweilige Zielgruppe, ob das nun der Applaus zu Franks Statement auf der Abschlussveranstaltung oder das gegenseitige Hochflauschen auf Twitter ist. Aber der Sache dienlich wäre es doch viel mehr, wenn man sich gegenseitig zuhört, und erklärt — viel mehr erklärt, als man das in der eigenen Filterbubble seines persönlichen Umfelds müsste. Gemeinsam, für einen tolleren Congress.
tl;dr: Ich bin mit dem Problem wirklich etwas überfordert — ich habe den Eindruck, dass man es als „middle class white male“ in dieser Thematik niemals richtig machen kann, und am besten einfach die Klappe hält, und in die andere Richtung schaut. Was es aber doch definitv nicht sein kann, oder?
Ich wäre tatsächlich sehr dankbar, weniger farbige Karten, und dafür mehr konstruktive Anleitungen und Lösungsvorschläge zu sehen. Ganz ernsthaft. Danke.
Ich habe eine Anmerkung zur ‚Außenwirkung‘. Mich hat es geärgert, dass so einige auf Twitter die Veranstaltung zur no go-area für Frauen* erklärt haben. Vorwiegend auch noch von Menschen die nicht auf Kongress waren. Und dann wird Widerspruch gegen das schiefe Bild konsequent als Marginalisierung derer, die sich nicht wohl gefühlt haben gewertet und nicht etwa als Wunsch nach Verhältnismäßigkeit. Und nein, niemand muss deshalb gleich ‚nett‘ sein, ewig etwas erklären oder gar sich selbst zensieren.
Ansonsten kann ich dir nur zustimmen und deine Beschreibung entspricht wie ich mich auf dem Kongress gefühlt habe. Danke.
Das Queer-Treffen auf dem #28c3 war so fruchtbar. Ich hoffe, dass jetzt nicht dieses Zwangs Öffentlich Sichtbar sein zum tragen kommt. Ich finde das unerträglich. Leider war ich dieses Jahr nicht da und hätte mich gerne an den Diskussionen wieder beteiligt.
Danke für den Blogpost. Grob zu meiner Sicht: Ich komme seit 1997 zum Congress und sehe fast nie Vorträge, lese kein Programm. Ich möchte dort Leute treffen und Spaß haben. Und ich mag den sarkastischen Umgang miteinander. Viele Leute dort sind klassiche diskrimnierbare: Dick, komisch, nicht der Norm entsprechend, irgendwie die , die in der Schule Außenseiter waren oder zumindest gewesen sein könnten. Diese machen sich oft (zumindest in meiner Peergroup dort) über einander lustig. Das mag ich. Andere könnten das als Diskriminierung sehen. Nun ist die Frage: Macht jeder, was er mag parallel, oder versucht einer dem anderen sein Wertesystem (oder wie man es nennen mag, man möge dieses Wort aus Ermangelung eines besseren nicht auf die Goldwaage legen) aufzudrücken. Das klassiche, vorherrschende System bekommt man zwangsläufig aufgedrückt wenn man dort ist. Nun kamen Leute dazu die sagen „hey, das passt uns nicht“, was ja auch ok ist. Aber der Ton macht die Musik.
Zum anderen: Von dem Policytreffen lese ich hier das erste mal. Auch wenn ich davon gewusst hätte wäre ich kaum hin gegangen. Warum auch? Ich will dort Freunde treffen und Spaß haben. Wer hingehen will um Policy treffen zu machen kann das ja auch gerne. Aber ich sehe mich nciht in der Pflicht dem nach zu kommen. Genau so wenig wie man dort zum Löt-Grundkurs muss oder einen Cocktail trinken.
Den Karten stehe ich Neutral gegenüber: Wer meint sie benutzen zu wollen soll das tun, wer nicht, der nicht. Ich habe sie kennen gelernt, weil Leute im Kreis standen und sich reihum wegen jedem Spruch eine gaben oder nicht gaben oder sich über angebliche Diskriminierung oder Anti-Diskriminierung lustig machen. Das war etwa 99% der Reaktionen, die ich auf die Karten sah. auf die Frage was die Karten denn sollen, wusste niemand so richtig was. Anruf beim ATeam und Infodesk brachten Antworten wie „Hat jemand mitgebracht, keine Ahnung“. Bei der Flauscheria sagte man mir es ginge um Sexismus, sei ja aber hinlänglich bekannt und solle ich im Wiki lesen oder die Leute fragen, die das genauer machen. Wer das (also im Sinne von natürlichen Personen) war konnte man mir dort auch nicht sagen. Also war es mir dann auch relativ egal. Aber ich denke man ist als Mitbringer in der Bringschuld so etwas sinnvoll einzuführen. Auch war auf den Karten keinerlei hinweis mit wem man darüber reden soll, wenn man Fragen hat.
Am Ende geht es ja aber eigentlich um die Diskrimierten. Wer fühlt sich warum diskriminiert und was können wir dagegen tun? Dass diese Frage immer und immer wieder behandelt werden muss ist aber auch jedem klar denke ich. Auch in meiner weiten peergroup gab es auf dem Congress 8auch in den letzten 15 Jahren) keine Zweifel daran. Also wollte ich wissen was für Fälle da konkret auf laufen. Also geht es vornehmlich um Sexismus, um Femdenfeindlichkeit, um Sprache oder Handlungen usw. Wie soll ich mit bekommen, ob ich jemanden versehentlich Diskriminiere, wenn ich die Fälle um die es geht nicht kenne? Mit Twena von den Haecksen habe ich vor 2000 wilde Diksussionen gehabt, aber wir führten sie live und lange und am Ende habe ich verstanden, was sie will. Es tut mir im nachhinein immer noch Leid, dass ich sie Richtung Wahnsinn trieb, aber es hat auch mir viel gebracht.
Auf dem Congress und auch danach konnte mir niemand einen einzigen Fall nennen. Ich gehe nicht davon aus, dass es keinen Gab, da ja mindestens 2 Leute vom Congress flogen. Aber warum genau? Und was waren die Fälle, für die man (ernsthaft) eine Karte bekam? Ich bekam antworten wie „Dass weiß jawohl jeder“ oder ich solle man nach Defcon11 googlen. Die Defcon Fälle kenne ich, aber ich fragte ja nach diesem Congress.
Zum anderen habe ich keine Ahnung wer mir die Karte gab weil er Spaß dran hatte und wer, weil er/sie sich diskriminiert fühlte. Ich habe am Ende fast 40 Karten mit unterschiedlichen Farben gehabt.
Wenn nun aber so viele Leute ein neues System nicht annehmen, dann kann man entweder darauf schimpfen, wie doof die alle sind oder man kann sich überlegen, ob bei der Einführung des Systems Fehler gemacht wurden. Die Leute die ich dort kenne sind weder doof noch diskriminieren sie absichtlich. Sie sind eher sehr Freundlich, aber haben oft den Anfangs beschriebenen komischen Humor, der bei Neuligen nicht immer so ankommt.
Was mich massiv ärgert ist, dass einzelne den Eindruck enstehen lassen eine Frau könne sich kaum auf den Congress trauen. Ich kenne haufenweise Frauen da (nicht zuletzt Erzengel und Projektleitung) die sich ziemlich vorgeführt vor kommen, wenn sie dort Ehrenamtlich ein tolles Event hinstellen, selber Frauen sind, und dann Leute sagen: „Aber als Frau kann man da nicht hin!“. Das ist einfach falsch. Jede Frau kann dort sicher hin. Die Frage ist ob man mit den Leuten vor Ort klar kommt und ob man das Event mag. Und das ist eine ganz generelle Frage. Ich gehe auch auf viele Events nicht, weil mir die Leute vor Ort nicht gefallen oder weil sie meinen Berufsstand mit der organisierten Kriminalität in Verbindung bringen („Contentmafia“) oder ähnliches. Das kommt auch vor, dennoch würde ich da niemandem unterstellen, dass die Leute mich aktiv ausgrenzen oder es unsicher für mich ist. Es gibt bei 6 Milliarden Menschen auf der Welt einfach unterschiedliche Menschen und das kann man schlecht nivellieren.
Gruß, Enno
Schöner Kommentar von Enno, auch was du Philip sagst ist größtenteils richtig. Und der Punkt ist wirklich: Der Ton macht die Musik.
Ich glaube schon, dass der CCC sehr kritisch auch gegenüber eigenem Handeln und Denken ist
(ich erwähne hier nur z.B. die Maßnahme, am 22c3 das Rauchen im Congress-Gebäude „abzustellen“ oder auch die Nazi-Debatten in Hamburg oder der Ausschluss und Wiedereintritt von openleaks-DDB), wo wir auch vor großen Entscheidungen standen und trotzdeminnerhalb von relativ kurzer Zeit (wenige Monate) eine relativ gute Lösung gefunden wurde.
Aber wenn der CCC sich gegen diese Karten ausgesprochen hat, sie dann aber trotzdem von „Feiglingen“, die sich nicht nennen wollen, mitgebracht und wahllos verteilt werden, ohne Konzept, ohne Rückgrat vom Organisator, dann ist das einfach dumm.
Sich dann noch hinzustellen wie es eben auch in meinem Blog getan wurde und zu behaupten „ja nur weil IHR die karten doof findet geben WIR euch gleich rote“ (Quelle: http://neuberlinerin.wordpress.com/2012/12/29/creeper-cards/#comment-157)
Das ist auch ein Beweis dafür, dass das angesprochene WIR / IHR hauptsächlich von den Benutzern der roten Karten gesagt wird. Ich habe meinen ersten Blogeintrag zu dem Thema unter der Annahme geschrieben, es käme tatsächlich von der CCC Orga, und ich sehe mich als Teil des CCCs.
FAZIT: Wenn man die Creeper Cards ordentlich eingeführt HÄTTE (in Abstimmung mit der Orga oder eben wenn man denn unbedingt meint in Eigenregie), UND wenn man die Cards SELBST ordentlich verwenden würde, also z.B. erst eine gelbe vor der roten geben würde (im Hacker Jeopardy z.B.), DANN hätte der CCC auch nicht so extrem reagiert.
Just my 2 cent.
Danke für deinen Kommentar — der CCC hat sich meines Wissens nach aber nicht gegen die Karten ausgesprochen, und mir wird auch nicht klar, warum du Leute als „Feiglinge“ bezeichnest, die die Karten angekündigt haben. Da ist sicher in der Kommunikation einiges schief gelaufen, aber die Aktion ist ja nicht geheim gelaufen oder so, siehe http://www.pledgebank.com/creepermovecards. Sie lagen bei der Assembly „Flauscheria“ aus und dort konnte man auch durchgehend Leute antreffen, die dafür zuständig waren.
So oder so — diskutiere die Karten-Aktion doch lieber auf deinem eigenen Blog: In meinem Artikel habe ich die Sache ja nicht umsonst sehr knapp gefasst und für mich abgehakt. Das Thema immer wieder hineinzutragen, obwohl man eigentlich nach vorn gerichtet diskutieren könnte, halte ich persönlich für verschwendete Mühe.
Abgesehen davon wäre ich etwas sparsamer mit Worten wie „Beweis“, das klingt doch arg nach Verschwörung.
[…] know if I’ll find the time and energy to add to this discussion via this blog, but go and read Philips post (in German). Like Anne mentioned during the policy-meeting: I would be great to have at least one […]
@martl: Die Karten waren mit der Orga vorher als Aktion der Flauscheria abgesprochen.
Es ist auch egal ob die CCC-Orga jetzt zugestimmt hat oder nicht (wie ich oben schon geschrieben habe), trotzdem wurden bei Einführung der Karten SEHR VIELE FEHLER GEMACHT UND DAS BLEIBT DUMM.
Ich sehe nun zum 1. Mal den Kickstarter-Aufruf, das macht einiges klarer. „Feiglinge“ sage ich, weil ich von den Leuten, die diese Karten bezahlt haben, bis vor 5 Minuten nie ein „ja wie warens“ und 2. ein Eingeständnis ihres Einführungs-Fails gesehen habe…
Zu den Benutzern der Karten: Man kann ja wohl nicht mit zweierlei Maß messen und tun als wär man der Moralapostel, aber sich selbst nicht an die „Regeln“ halten, dazu zähle ich auch den korrekten Umgang mit den Karten (ich wiederhole mich gerne: beim Hacker Jeopardy z.B. erstmal ne gelbe Karte zu geben).
Eine Entschuldigung von beiden „Gruppen“ sehe ich mehr als angebracht. Ich werte deinen Eintrag als eine Entschuldigung Deinerseits, danke. Zur Kritikfähigkeit gehört halt auch mal, das zuzugeben und nicht nur immer die Fehler bei anderen zu suchen.
Noch was zu Beweisen:
Ich bin es müde immer nur Anschuldigungen oder Teilwahrheiten zu lesen/hören, keiner hat irgendeine konkrete Ahnung wem jetzt wirklich irgendwas Schlimmes auf dem 29c3 passiert ist und ich versuche mir ein objektives Bild davon zu machen (siehe Enno http://ennolenze.de/diskriminierung-29c3/786/). Die bisher erwähnten „Tür-Aufhalten-Rote-Karte“, „Hacker-Jeopardy-Rote-Karten“ und Blogeinträge von Leuten, die nie/nicht auf dem Kongress waren, würde ich jetzt auch nicht als stichhaltig einstufen. Der Blogkommentar
http://neuberlinerin.wordpress.com/2012/12/29/creeper-cards/#comment-157 dagegen ist auf jeden Fall authentisch und stichhaltig.
Lg
Martina
Ich finde es erschütternd, daß weiterhin so vielen nicht klar zu sein scheint, wozu solche Karten gut sind und daß sie prinzipiell jede dabeihaben und jemandem geben kann, ohne daß sowas „ordentlich eingeführt“ werden müßte.
Es handelt sich nicht um ein geschlossenes Sanktionssystem, sondern um eine Notwehrmaßnahme unter den Bedingungen von Unverständnis und mangelnden Alternativen. Die Idee ist doch schlicht, den offensichtlichen Scheiß, von dem jemand betroffen ist, nicht ständig immer wieder erklären zu müssen.
[…] Philip Steffan zum 29C3 Birgit Rydlewski zum 29C3 Claudia Kilian zum 29C3 Asher Wolf über systematische Missstände […]
Okay, zwei Dinge.
Nummer 1:
Von deinen Eingangsbeispielen für problematische Vorfälle entpuppen sich mindestens zwei bei näherem Hinsehen als Reaktion auf die Ausgabe der Karten. Hat jemand Zweifel daran, dass das Thema Diskriminierung von Frauen beim Hackerjeopardy ohne die Karten vermutlich nicht hervorgehoben worden wäre? Genauso war die kopflose Frau eine mehr oder minder geschmackvolle Kritik an den Karten, letztlich ja eigentlich egal, ob von einer Frau oder einem Mann angebracht.
Und von hier kommt auch die Stoßrichtung der Kritik. Zuerst wird eine Maßnahme eingeführt, die Unfrieden stiftet, und dann werden einige Vorfälle, die eine Reaktion auf diese Maßnahme sind zum Beweis herangezogen, dass man offensichtlich recht hatte sie durchzuführen. Insofern ist „Shooting the Messenger“ wenn man ehrlich ist nicht zutreffend. An „Shooting the Catalyst“ glaube ich auch nicht, wäre aber zumindestens mal näher an der Wahrheit.
Das Ironische ist, dass diese Äpfel(farbenen Karten) der Zwietracht von Eris persönlich nicht besser hätten zum Einsatz gebracht werden können.
Nummer 2:
Natürlich gibt es ein „Wir“, weil es immer ein „Wir“ gibt. Weil es immer Menschen gibt, die sich schon kennen, die Erinnerungen und Insiderwitze, kompatible Mentalität und Werte miteinander teilen. Dieses „Wir“ ist zwar selbst in den konservativsten Gruppierungen im Fluss, aber doch nie vollkommen ohne Austauschträgheit. Es gibt einen Unterschied zwischen „wir schließen dich prinzipiell aus“ und „du musst zu uns passen“. Diesen Unterschied sollte man würdigen.
Bin unklar, ob ich lachen oder weinen soll. Wenn dir, wie du durchscheinen lässt, bereits der Ansatz eines Bewusstseins für Alltagssexismus fehlt, ist es wirklich schwer, bei der Diskussion mitzumachen.
Die Karten rufen keinen Sexismus hervor. Sie sind keine Aktion, sondern eine Reaktion bzw. Reaktionsmöglichkeit für diejenigen, die von Belästigung betroffen sind. Es ist ja nicht so, dass auf den vorherigen Kongressen Aktionen wie die von mir angeprangerten nicht stattgefunden hätten.
Kurz noch was zur Kommentarpolitik: Bislang schalte ich noch alles frei, was ohne Beleidigung oder offensichtliche Trollerei auskommt, auch dann, wenn ich anderer Meinung bin oder mich frage, was die Antwort mit meinem Text zu tun hat.
Hmm, du musst schon genau lesen. Ich habe nicht behauptet, dass die Karten Sexismus hervorgerufen sondern „Unfrieden“ gestiftet haben. Die beiden Vorfälle, die ich angesprochen habe, sind als Ergebnis dieses Unfriedens entstanden und wären ohne die Karten nicht aufgetreten. Nun will ich gar nicht in Abrede stellen, dass in diesen Reaktionen dann auch Sexismus zu Tage treten kann. Obwohl man auch hier im Detail diskutieren könnte, was ich aber nicht will. Es ist nunmal etwas anderes Vorfälle auf dem Congress zu dokumentieren und der Gemeinschaft anschließend den Spiegel vorzuhalten („messenger“) oder eine Aktion durchzuführen, die selbst ein Klima schafft, in dem latenter Sexismus zu Tage tritt („catalyst“) und an letzterem die Bewertung der Veranstaltung aufzuhängen. Mein zurückhaltendes Angebot ist also deshalb der Vergleich mit einem Katalysator, weil der etwas beschleunigt, was auch ohne ihn langsam oder in geringem Maße abläuft.
Der Congress ist genau deshalb offen, weil es keine Gesinnungskontrolle gibt. Und wenn eine Bringschuld seitens der Veranstalter existiert, dann sicherlich nicht, dass nur Leute mit der richtigen Einstellung dorthinkommen, sondern dass es eine Umgebung gibt, in der die Teilnehmer sich sicher fühlen und ihre Einstellungen überprüfen können. Ich erkenne auch an, dass die Karten ein Versuch waren dazu beizutragen. Aber sie haben mit Blick auf die Rezeption des Vorgang eher das Gegenteil bewirkt.
was ist flauscheria?
der congress war mal technik orientiert — das verkommt zu einem ideologentreffen — der jede gruppe ihre agenda sauber durchziehen will
„spass am gerät“ stand mal im vordergrund
macht was eigenes — und stellt euch dann den problemen
Hmm, wann ist etwas ein persoenliches gefuehl oder Wahrnehmung und ab wann ist es ein „objektives“ Problem? D.h. Welche formulierung ist o.k. Aber vielleicht der ein oder anderen / dem ein oder anderen zu direkt/sexistische/beleidigend? Bei Beleidigungen/ Herabsetzungen gibt es ein persönliches befinden, dass empfindlicher sein kann als das der allgemeinheit und trotzdem wird denen nicht zugestanden neue Standards bzgl. Beleidigung zu setzen. Wo ist diese Grenze bei sexistisches Bemerkungen? jeder hat da eine andere Schwelle, ab der sei etwas schlimm findet … Daher sind auch aussagen wie “ es gibt kein Problem“ durchaus richtig — aus deren Sicht. ist das erlaubte Niveau immer das, was dem empfindsamsten der anwesenden gerade nicht zu wider ist? Die “ Norm“ ist immer ein Mittelwert, d.h. Manche werden sich beleidigt fühlen, anderen ist es viel zu harmlos. Wer definiert diese Norm? Nur die, die sich drüber aufregen, d.h. die mit der meisten medialen Aufmerksamkeit? … Zweifel bleiben …
Philip, danke für deinen Blogpost.
Das Hackerjeopardy hatte klaren Sexismus. Ich würde es persönlich in die Kategorie „einfach nur dumm“ einordnen; aber ich bin auch kein Opfer von Sexismus, und wenn Frauen es als schwerwiegender einstufen wollen dann haben sie Recht. Und wenn ein Moderator das nicht versteht, selbst wenn er darauf hingewiesen wird, dann ist das doppelt-dumm.
Auf die Frage „ja was hätte er denn tun sollen“: wenn ich als Moderator die Frauen-Quote erhöhen will dann wähle ich unter den Bewerbungen bevorzugt eine Frau und sag‘ nix dazu. Keine Frau will als „Quoten-Frau“ hingestellt werden, und das Darüber-reden macht genau das.
Und falls (falls!) ich wirklich als Moderator keine einzige Bewerberin sehen würde, dann kann ich vielleicht noch sagen „ich will jetzt nicht sexistisch wirken, aber zur Ausgeglichenheit würde ich gerne eine Frau als Kandidatin sehen. Gibt es Bewerbungen?“. Oder ich lass‘ es bleiben, wenn ich mich unsicher fühle.
In der Hinsicht ein Vorschlag (der CCC braucht sicher keine, aber…): ein Gender-Schulungsangebot für Moderatoren, Vortragenden und allen die in der Außenwirkung als „das CCC“ gesehen werden könnten. Auf freiwilliger Basis, denn Zwang hilft hier nicht, aber stark beworben.
Debatte in den hackerspaces: Metalab in Wien macht da mit, und in dem Sinne finde ich es toll, dass es zu den Vorfällen gekommen ist. Da kommt dann viel zum Vorschein wo manch einer gedacht hätte „das Problem gibt es ja bei uns eh nicht“. Diese Sexismus-Diskussion ist immer aufhellend, und sie macht die Plätze, die — so hoffe ich wenigstens — für Frauen schon zu den sichereren gehören noch besser.
Ich denke auch unbedingt, das Pferd bzw. die Sandale war und ist schuld.
[…] by Nóirín Plunkett for Ada Initiative. German version (including links to others‘ blog posts and several […]
[…] Inventing Room! war auf dem Hacker*innenkongress 29C3 und musste dort mit einigen Ismen kämpfen. Im anschließenden Beitrag erklärt er*, warum solche […]
[…] Hacker, Sexismus und alles Bei @philipsteffan gibt’s einen Rundumschlag zum 29c3. Er berichtet, wie für ihn der Congress gleichzeitig ziemlich gut und ziemlich schlecht war. Der Inventing Room: Raketenregen. […]
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[…] Stefan (http://blog.philipsteffan.de/2013/raketenregen/) über Solidarisierung, Paternalismus und […]
[…] das hier ist der Ausputz, also: Ganz allgemein, anekdotaler Gegenentwurf, noch mehr Eindrücke, dann ein Blick eines Schwulen auf Feminismus, die Replik, dann braucht es eine inklusivere […]